* Eine Reizwortgeschichte
Anfangs war es nur ein kleines Glas
Rotwein am Abend, später dann eine Flasche und irgendwann hatte sie
aufgehört zu zählen. Spätestens wenn die Touristen fort waren und
im Schwabenstüble nur noch
Stammgäste wie Herbert saßen, war Conni abgefüllt.
„Papa hatte recht. Harte Arbeit und
viel Geduld...“. Conni gießt sich und Herbert noch ein Glas
Trollinger ein. Die letzten Laufkunden sind gerade gegangen und mit
ihnen die gefühlt zwanzigtausendste Schilderung einer leicht linken
Altersgenossenjugend. Mit Kassettenrekorder und billigem Mikrofon vor
einem Radio sitzen, um Musik der Soldatensender BFBS, AFN oder den
englischsprachigen Nachtprogrammen von RTL aufzu nehmen. Mixed Tapes
für Freunde, Mädchenkassetten, Schwärmereien, Pickel,
Dorflangeweile, Drogen, Oberstufenreform, Paragraf 218,
Radikalenerlass, KBW, Nicaragua-Demos, und wie immer Geschichten vom
legendären Tunix-Festival in Berlin und vom Brokdorfer Bauzaun.
„Wann war das noch mal genau? Mit
hischtorischen Daten hab ich es ja nicht so. Außerdem, wozu gibschts
Google? Aber jetzt mal im Ernst, Herbert. Kannst Du das ewige
Reminischieren eigentlich noch ertragen?“
Langsam verschleift Connis Aussprache.
Jede andere würde längst lallen, an ihrem Gegenüber herumfingern
oder kotzend über der Kloschüssel hängen. Aber des Vaters Mantra
greift bei ihr offenbar auch der Ebene des Stoffwechsels.
Im Lauf der 1980er Jahre hatte sich ihr
kleiner Gasthof zu einer Kreuzberger Institution entwickelt. Und wie
so oft kam es zu einer quasi organischen Expansion, und das quer
durch Berlin und den brandenburger Speckgürtel. Inzwischen gehörten
Conni eine Feinkostladenkette, mehrere Restaurants unterschiedlicher
Ausrichtung, sowie eine Großgastronomie im Grünen. Den Stress ihres
Tagesgeschäfts aber trinkt sie sich nach wie vor am liebsten im
Schwabenstüble herunter.
„Weissu eigentlich was das ist?“
Conni kramt in ihrer riesigen Umhängetasche herum und knallt einen
dunkelgrauen Gegenstand aus Hartplastik auf den Tisch. „Hah! Das
ist ein Original-Notfallhammer von der BVG. Hab ich 1979 zusammen mit
Dörte geklaut und seitdem immer dabei. Leatherman, Pfefferspray und
der Notfallhammer. Kannsu Dich noch an Dörte erinnern?“
Herbert legt sein Gesicht in
interessierte, anteilnehmende Falten. Er weiß, was jetzt kommt.
Connis offizielle Ankunft in Berlin war
auf einen einem späten Novembernachmittag gefallen. Über der Stadt
lag tiefe Gräunis und der Geruch verbrennender Braunkohle. Einladend
war hier nichts. Auch Dörte nicht. Die hatte offenbar nicht damit
gerechnet, dass Conni Ernst machen, Esslingen den Rücken kehren und
mit ihrem uralten Mercedes-Transporter, „weissu noch, der
rot-schwarze Bus mit der Panzerluke?“ bei ihr vor der Tür stehen
würde.
Räumlich und emotional unvorbereitet
hatte Dörte erst einmal nur Connis Klavier in ihre kleine
Ladenwohnung-WG aufgenommen und ihrer Internatsliebe für die kalten
Winternächte im Benz einen Heizstrahler nebst 12 Meter
Verlängerungskabel besorgt...
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