Kassenbuch + Ochsenblut

* Eine Reizwortgeschichte
Drei bis fünf Anrufe, circa zehn E-Mails und einige Textnachrichten. Mehr kommt zur Zeit selbst montags nicht herein. Dabei hat sich der Leidensdruck unseres Klientels keineswegs verringert. Tatsächlich wächst ihre seelisch-mentale Belastung proportional zur Angst vor Entlarvung. Die Taktik „Abstreiten. Lügen. Offensiv-Bluff“ greift nicht mehr so recht. In Zeiten, in denen sich Staatsanwälte öffentlich ebenso profilieren wollen wie aktuelle und ehemalige PartnerInnen, Haushaltshilfen, Ärzte, Kassenbuch-Führer heimischer Sportvereine oder Zufallsbekanntschaften, wird das Tragen der sprichwörtlichen weißen Weste immer schwieriger.

Aber vor weiteren Einblicken in meinen Arbeitsalltag sollte ich mich vielleicht erst einmal vorstellen. Gestatten: Finn-Ole Proksch, Leiter des SNDP (Sozialpsychologischer Notdienst für Parlamentarier) in Berlin.

Wahrscheinlich haben Sie, wie etwa 98,3 Prozent aller Deutschen, bisher nichts von der Existenz des SNDP gewußt. Es liegt in der Natur unserer Arbeit, weit hinter den Kulissen zu wirken.Was jedoch weder bedeutet, dass wir geheimdienstliche Aufgaben wahrnehmen, noch explizit darum bemüht wären, unsere Aktivitäten unterhalb des medialen Radars zu halten. Zwar betreiben wir keine öffentlich zugänglichen Webseiten und halten uns fern von sozialen Netzwerken, aber um den SNDP zu finden, bedarf es keiner besonderen investigativen Fähigkeiten. Wir stehen im Telefonbuch, mit voller Adresse.

Menschen, die uns zum ersten Mal besuchen, sind meist überrascht, statt dem ortüblich aufwändig gepflegtem Parkett schlichte, in Ochsenblut gestrichene Holzdielen vorzufinden. Diese rotbraune Farbe kennen Sie, wie viele unserer Klienten, wahrscheinlich noch aus Ihrer Kindheit und/oder Jugend. Gleichermaßen vertraut und scheußlich, dient Ochsenblut in der modernen Parlamentarier-Pychotherapie der so genannten „Erst-Erdung“...

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