Scherzartikel + Leuchtreklame

*Eine Reizwortgeschichte


Ein bisschen speckig, ein bisschen alt und ein bisschen behindert. Das ist Gwendolin Unterwittlers Standardantwort, wenn sie in diesem Sommer jemand fragt, wie sie sich so fühlt. Gwen gehört zu den Menschen, die glauben, das Fragen nach ihrem Befinden ernsthaftem Interesse entspringen und dass man bei der Antwort nicht lügen darf, egal wer das Gegenüber ist. 

Dankwart ‚Dany’ Unterwittler ist Psychotherapeut. Für seinen Geschmack schon deutlich zu lange, aber irgendwann ist man eben Opfer des eigenen Lebenslaufs und als Mittvierziger noch einmal ganz von vorn anzufangen, davon träumt er nur noch, wenn er zwei Mal im Jahr auf der Terrasse der Familienferienwohnung im Norden Mallorcas sitzt und aufs Meer schaut.

Für den Erlös der Wohnung könnte er sich einen netten Bungalow auf den Philippinen kaufen und für ein paar Kleinflugmaschinen und für 15 relativ sorgenfreie Jahre würde das Geld sicher reichen. Fliegen ist Danys Passion, aber nach dem Unfall vor zehn Jahren hat er Gwen versprechen müssen, nie wieder mit Trikes noch mit anderen Leichtflugzeugen abzuheben und so ist auch diese Leidenschaft eine heimliche.

Warum sie alles zwischen Cessna und Paraglider  „Scherzartikel für Todessehnsüchtige“ nennt, hat Dany nie so recht begriffen, aber im Lauf der Zeit hat er sich abgewöhnt, ihre Gedanken und Äußerungsformen zu hinterfragen und analysieren zu wollen. Zu dumm, dass die Wohnung auf Gwens Namen läuft und ein hoher Prozentsatz der Mieteinnahmen in soziale Projekte geht. Das Leben könnte schön sein, ohne Gwen und die Praxis.

Patientinnen zu heiraten war vermutlich noch nie ein guter Plan, sinniert Dany hinter seiner großformatigen Zeitung. Vor allem solche, deren Namen auf ähnlich durchgeknallte Eltern schließen lassen wie der eigene. Man hätte es wissen können. Zumal als Profi. Wie viel am Namen hängt wird ja immer gern unterschätzt. Sich auf Gwendolins Wunsch hin Gwen und Dany zu nennen, hatte rein gar nichts gebracht. Was für eine dämliche Idee, sich mit all den Mikes, Tinas und Robbies gemein zu machen. Himmel, was gäb ich dafür, dieses Geplapper am Telefon ausblenden zu können! 

Den Artikel über Impfungen vor Fernreisen liest Dany nur mit halbem Auge. Gwen schwadroniert über drohende Krampfadern, sackendes Bindegewebe, lästert über gesichtsgebügelte Botoxtussen und wechselt zwanglos zu Schimpferei über aufdringliche, geschmacklose Leuchtreklamen am Rathausplatz und die Schließung eines integrativen Kindergartens. „Und was tun unsere Freunde von der Grünen Fraktion im Rat? Nichts natürlich…“ , schreit sie ins Telefon und kratzt sich dabei ausdauernd ihren linken Schenkel.

Dany seufzt, legt die F.A.S. beiseite und geht hinaus in den Garten, die Hecke schneiden. Von Hand, mit der großen, leicht angerosteten Schere, denn sonntags ist Gwen immer besonders geräuschempfindlich…

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