Vogelmiere + Laserpointer

* Eine Reizwortgeschichte
Die Bedenken kamen am Vorabend der Hochzeit. Genauer gesagt kurz vor dem traditionellen Zerschlagen des Porzellans. Natürlich hätte ihm früher auffallen können, dass Gartenkräuter eine besondere Rolle in Julias Leben spielten. Aber eine Powerpoint-Präsentation über die Vogelmiere während des Polterabends?
Hanno blickte hilflos zur Bühne, wo Julia gerade Abbildungen des unscheinbaren Gewächses kommentierte: „Die meisten Gartenbesitzer kennen die Vogelmiere mit ihren kleinen Sternblüten als lästiges Unkraut. Aber in Wirklichkeit ist sie nicht nur ein Wildgemüse, das wir selber anbauen können, sondern ein wertvoller Schutz und Mulchersatz für den nackten Boden“, berichtete sie strahlend, holte tief Luft und fuchtelte sichtlich erregt mit dem Laserpointer herum. „Dabei kann man die Vogelmiere das ganze Jahr über ernten. Wir können sie in Suppen, Salaten und Kräuterquark verwenden und so unsere Verdauung anregen. Sie kann sogar Schuppenflechte und juckende Ekzeme lindern…“
Der Strahl des Laserpointers zuckte wild durch den Festsaal der Großgaststätte Ratte, über die Kronleuchter, das Büffet, über Schuhe, Betonfrisuren und schlecht gebundene Krawatten, als Julias Mutter einschritt. Mit einem einzigen lässigen, fast beiläufigem Griff nahm sie Julia das Mikrophon aus der Hand und ihre Tochter liebevoll in den anderen Arm. „Für berauschende Mischgetränke haben wir trotz großen Bemühens nicht genug Vogelmiere zusammen bekommen, also lasst uns mit einem traditionellen Tequila auf das Wohl der Braut trinken. Hau weg die Scheiße, hau weg, hau weg…“


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