Bergmannsheil

Das Hirn von Jan Baschke wiegt 1.532 Gramm und sieht  im Querschnitt fast adrett aus. Man kann Menschen nur vor den Kopf gucken, weiß der Volksmund im Ruhrgebiet und dass man einem nacktem Mann nicht in die Tasche packen kann. Das sieht die Pathologin hier in der Bochumer Uniklinik 'Bergmannsheil' etwas anders.

Natürlich wird ihre Untersuchung nicht zu Tage bringen, welche und wie viele Geschichten und Gedanken in diesem Hirn noch gesteckt haben mögen; welche Interessen, Talente, Traumata, Neigungen, Begabungen und Leidenschaften dieser Jan Baschke hatte. Laut Auskunft des ermittelnden Beamten liegt hier der Inhalt eines so genannten hellen Köpfchens. Eines, von dem man bisher nicht weiß, ob es durch Fremdeinwirkung gestorben ist, ob es seinen Tod selbst beschlossen hat. Für die Aufklärung des Falls wird diese Untersuchung rein gar nichts zu Tage bringen. Genau genommen ist sie weder angeordnet noch erlaubt.

"Warst Du im Leben schön war wie der Schauspieler, dessen Name Deinem so ähnlich ist?“ Die Pathologin schwärmt ein wenig für Mark Waschke, so wie sie als Kind für Helmuth Griem, Lex Barker und Pierre Brice geschwärmt hat, oder vor einigen Jahren dann für Viggo Mortensen. Alain Delon war irgendwann von der Liste gerutscht. Bei Rechtsextremen kennt sie kein Pardon. Solche kommen ihr noch nicht mal in die billigeren Phantasien.

„Hattest Du eine Therapie-gestählte Frau, Jan? Oder einen Mann? Irgendwen, dem Du erlaubt hast, Dir ins Leben rein zu reden? Ukkis Mantra war ja 'Du musst sagen, was Du willst' und so glich unser kurzes Zusammenleben einer endlosen Reihe von Regieanweisungen“, raunt die Pathologin dem gräulich-rosafarbenen Zellhaufen vor sich zu, „In der der Grundaussage hatte er wahrscheinlich recht. Irgendwann sind wir einfach zu alt, um Leben zu vertagen und auf Wunscherfüllung zu warten, zu müde für ausgefeilte Strategie- und Machtspielchen. Ach Ukki…“

Sie könnte mehr über Jan Baschke erfahren, wenn sie wollte. Die Akte enthält neben Basisinformationen natürlich auch Photos; neben Bildern vom Fund/Tatort und Ausweismaterial vielleicht sogar einige aus seinem seit zwei Tagen abgelaufenen Leben. Aber die Pathologin schätzt die Intimität, die von Mutmaßungen und Ausgedachten kommt. Sie lässt sie den Computer links liegen, den Aktenordner auch, und schneidet ein Carpaccio-feines Scheibchen herunter von Jan Baschkes Hirn…

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