Leben und Häkeldeckchen

Missverständnisse kommen in allen Farben und Formen. Pech auch. Aber nichts währt ewiglich. Das denkt Bartkowski, als ihn die Krankenschwester vom Kernspin-Raum hinüber in die offene Besprechungszone rollt. Schon fast im Weggehen schreit sie ihm „Frau Doktor bespricht dann gleich mit Ihnen, wie es weitergeht“ direkt in sein Ohr. Bartkowski nickt und schaut erwartungsvoll.

Die Ärztin kommt nach drei Minuten hinter einer Stellwand hervor, gibt ihm die Hand und beginnt aus dem Stand heraus mit einer langatmigen Erklärung. Auf den Monitor mit den vielfarbigen Aufnahmen schaut sie ebenso wenig wie auf den nervös an seinem Kinn herumzupfenden Patienten vor sich. Ihr Blick ist auf einen Punkt weit oberhalb des Rollstuhl gerichtet. Entgegen seiner sonstigen Art schweigt Bartkowski höflich; lässt sie ausreden, bevor er recht laut bittet „Pardon, könnten Sie das wiederholen…“.

Dr. Diesenberg ist eine leise Nuschlerin mit schwerem S-Fehler, selbst für Menschen mit intaktem Gehör kaum zu verstehen und leidet offenkundig an einer der meist unterschätzten Seuchen der Jetztzeit, dem Sensibilitäts-Defizit.

Sie wiederholt ihren Sermon, keinen Deut klarer und verständlicher, aber deutlich schneller als zuvor. Bartkowski bittet erneut um Wiederholung. Sie schaut unwirsch, rollt mit den Augen, als sie zum dritten Mal zur Erklärung ansetzt und diese tonlos verzischt herunter rattert.

Jetzt verliert Bartkowski seine Contenance, ruft laut, mit Verzweiflung in der Stimme „Bitte, ich versteh Sie einfach nicht…“. Frau Doktor zuckt mit den Achseln, greift zum Telefon und nuschelt etwas, das klingt wie „Schwester, abholen, Frühdemenz…

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