Demut + Altlasten + Stallgeruch + Pfannenhilfe

Reizwortgeschichte für Gregor Cuerten

Hochmut kommt vor dem Fall. Mit dieser Weisheit hatte Opa Johann nicht gegeizt. Damals hatte Moritz die Mahnung ebenso weg gelacht wie die konkretere Handlungshinweise des Alten. Wie  recht sein Opa und der oft zu unrecht geschmähte Volksmund hatten, war Moritz erst in den letzten Wochen klar geworden.

Späte Erkenntnis nennt man das wohl. Allerdings keine von der Sorte, bei der Du feststellst, dass Textpassagen aus Jugendlieblingsliedern (die Du Jahrzehnte lang lauthals mitgesungen hast, wann immer sie im Radio oder auf Parties liefen) anders lauten oder ganz etwas anderes bedeuten als Du gedacht hast. Dass Golden Shower nichts mit Edelmetall und Körperreinigung zu tun hat, beispielsweise. Oder dass Briten keine besondere Kriegsvorlieben äußern, wenn sie über den Great War sprechen.

Bevor ihn sein persönlicher Erkenntnisschlag traf, hatte sich Moritz für einen allseits beliebten, bewunderten und begehrten Macher der Marke 'Unbesiegbar'  gehalten. Ein bisschen skrupellos vielleicht, egomanisch, ignorant und unsensibel, aber hey, das sind doch die Eigenschaften, die Erfolg erst möglich machen, oder?

Außer ihm haben es alle gewusst. Immer schon. Oder zumindest seit das Internet auch in seinen Kreisen zum Lieblingsspielplatz mit Pranger geworden ist. Nein, auch das Sich-selber-Googlen hat Moritz nicht gut getan. Obwohl, das mit dem klaffenden Graben zwischen Selbst- und Fremdbild war wahrscheinlich schon im alten Ägypten so, bei den Sumerern und in vorschriftlicher Zeit vermutlich auch. Wer weiß schon so genau, ob die Felsen von Lascaux oder Aspeberget nicht auch jede Menge Spott und Disserei enthalten?

Egal. Im hier und jetzt liegt Moritz vor dem Fernseher. Nachmittags um halb vier. Schaut einer austauschbar-niedlichen Brünetten beim Weinen und Wegweiserei für Untote zu. Es geht um Seelen, die noch Altlasten beseitigen und Buße tun müssen, bevor sie ins golden strahlende Jenseits gehen können. Dabei hilft ihnen die niedliche Brünette mit den dauertränenfeuchten Augen. Denn ins Licht müssen sie alle. Im Diesseits zu verweilen ist keine Option. Frustrierte Seelen ohne Demut bringen Schaden. So jedenfalls wollen es die Drehbuchschreiber von Ghostwhisperer.

Altlasten. Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit für eine Therapie. Den Anfängen nachspüren, den echten Stallgeruch analysieren ebenso wie den später zu Bluffzwecken aufgesprühten.

Aber jetzt ist erst einmal der Darm dran. Moritz greift zur Klingel und hofft, dass es nicht Schwester Bettina sein wird, die ihm heute Pfannenhilfe leistet. Schwester Bettina ist heiß. Eine dralle, wohlproportionierte Blondine mit dichtem Pferdeschwanz und einem Hüftschwung, der schwindelig bis wuschig macht. Vor ihr geniert sich Moritz noch mehr als vor dem anderen Pflegepersonal.

In Bettpfannen scheißen zu müssen. Als wären der Schlag und die Eingriffe am Herzen nicht schon demütigend genug...

Im Fernsehen kämpfen jetzt perfekt geschminkte und merkwürdig minderbekleidetete Junghexen gegen das Böse und lassen dabei Dämonen gleich reihenweise explodieren. Moritz ist dankbar für diese Geräuschkulisse und die Tatsache, dass sein Bettnachbar schwerhörig ist, aber das Hilfsgerät von Geers nicht mag. Das Darmdrücken fällt schwer. Moritz stöhnt und schnauft. Nun mach schon! Los jetzt. Gib ihn endlich frei, den Scheiß!

Zehn erfolgsarme Minuten später zieht Schwester Bettina die Pfanne unter Moritz’ Po hervor, wischt ihm kurz und routiniert durch die Falten und säuselt „Klistierchen gefällig, Herr Marzik?“

Beim Verlassen des Zimmers schwenkt sie ihre Hüften auf eine Art, die selbst eingefleischte Machos als ironisch erkennen würden. Der halbtaube Bettnachbar schaltet um. Auf zwei junge, extrem athletisch- attraktive Vampire, die Blut aus geschliffenen Kristall-Bechern trinken und eine austauschbar-niedliche Brünette anschmachten.

Moritz seufzt. In seinem Kopf höhnt Opa Johann: „Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz“...





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