Lichtschalter + Ärmelkanal

* Eine Reizwortgeschichte 

Vielleicht war es die Schuppenflechte, vielleicht auch einfach nur sein trauriger Mund. Dunkelheit würde es erträglicher machen. Während sie ihm mit der linken Hand sanft über den Rücken strich, tappte sie mit der rechten auf den Lichtschalter. Die nun fast undurchdringliche Schwärze des Raumes nahm Patschky fast dankbar zur Kenntnis.

Als Mann mochte ihn Marie nicht besonders, das war ihm bereits bei ihrer zweiten Begegnung klar geworden. Im Laufe der Zeit hatte er feine Antennen für die Ausweichmanöver von Frauen entwickelt, diese kleinen und mittelgroßen Gesten, die immer dann greifen, wenn sich die Attraktivität des Mannes auf Teilbereiche bezieht, zu denen sein Leib nicht gehört. Und während sie aus taktischen Gründen, Höflichkeit oder Mitleid körperliche Anziehung simulieren, halten sie eine innerliche Distanz, die so so breit ist wie der Ärmelkanal zwischen Calais und Dover.

Wieso ging ihm ausgerechnet dieses Bild durch den Kopf? Patschky wusste es nicht. Gut war er nicht, dieser Vergleich, eher glanzlos, und gewiss nicht poetisch. Aber egal jetzt. Jetzt ging es nicht um hochglanzpolierte Formulierungen sondern um eine Anmutung beglückenden  Ganzkörperkontakts. Berührungen dieser Art hatte es in den letzten Jahren nur wenige gegeben für ihn. Diese Gelegenheit mochte er nicht auslassen, konnte er einfach nicht auslassen. Maries Gesicht und die Abwesenheit von Leidenschaft darin jetzt nicht sehen zu müssen, war ihm nur recht.

Anfangs hatte Patschky sich geglaubt, dass er spielersisch mit der Hoffnung umginge, sie könne mehr in ihm sehen als den Intellektuellen und bekannten Künstler. Gönn Dir ein kleines Gedankenspiel, alter Mann, nur so zum Spass! Dass er mit den fluffig frisierten, glatthäutigen und stets alert wirkenden, aktuellen Medien- und Marktlieblingen nicht konkurrieren konnte, war ihm ja spätestens seit jenem Zwischenfall mit Femie Flottmann stets bewusst gewesen. Der Schmerz war einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Zynismus gewichen. Die letzten acht Jahre und die Frauen darin hatten ihn von den meisten Illusionen befreit. Doch dann kam Marie und mit ihr das Wiederaufflammen erfolgreich verdrängt geglaubter Sehnsüchte. An seinem Pragmatismus in Sachen Sinnlichkeit glaubte Patschky inzwischen nur noch tageweise...  

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Reizwortgeschichten basieren auf zwei Wörtern, die formal und inhaltlich erst einmal keinen Zusammenhang haben, genauer gesagt auf zwei Begriffen, die mir Andreas Raum seit Anfang Dezember 2010 an fast jedem Abend per SMS zuschickt. Meine Aufgabe besteht darin, mir noch am selben Abend eine kleine Geschichte oder Skizze auszudenken, in der die jeweiligen Begriffe vorkommen. Den so entstehenden aktuellen Kurztext schickt Herr Raum dann an einen Verteiler interessierter Leute. Je nachdem zu welchem Zeitpunkt seine "Abonnenten" in den Verteiler eingestiegen sind, kennen sie drei, zwölf oder alle der rund 50 bisher geschriebenen Reizwortgeschichten. Einige der Leser wünschen sich eine Art Archiv, und so sollen hier nach und nach alle bisherigen Texte aus der Reihe erscheinen. Die jeweils aktuellste Geschichte gibt es weiterhin per E-Mail. Bei Interesse genügt eine Nachricht an a.raum@gmx.net

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