Neulich in Bavarien

Der Dieter hat eine Kneipe in Giesing. Die hat er 'Golden Gate' genannt und für maximal 14 Gäste ausgerichtet. Mehr passen einfach nicht rein, denn die Wohnzimmer große Gaststätte ist gestopft voll mit Erinnerungsstücken. Vorwiegend aus den 1970ern. Da war der Dieter nämlich ein bekannter Musiker. Hat mit dem Peter Maffay gespielt und der Daliah Lavi und so. Einmal hat er sogar für den Richard Burton aufgespielt. Und dafür hat er sogar einen Beweis, ein Photo nämlich. Dieter an der Gitarre und Richard am Mikrofon. War wohl eine Geburtstagsfeier; Karaoke-Maschinen gab es damals noch nicht. "Singen hat der net können, aber g'soffn hat der net schlecht, der Lizzie ihr Gatte...", sagt der Dieter.

Reminiszieren ist Trumpf im Golden Gate, und für richtig geratene Schlager aus der Obskuritätenkiste gibt's einen Schnaps umsonst. Davon profitiert meist der Uli, der wo dem Dieter sein bester Freund ist und, wie mir mein Begleiter zu raunt, als wandelnde Jukebox gilt. Heute aber ist ihm nicht nach Singen. Heute ist der Uli betrunken, weint und will reden, "...so richtig von Mensch zu Mensch". Vor einigen Stunden ist Ulis Bruder gestorben. Und die Schwägerin, "die oade Votz'n" hat ihn auf dem Gewissen, den Bruder. Der Dieter will den Uli aufheitern und spielt das Lied vom Rudern, Segeln und Rudirallala.


Der 'Junge Edmund' ist Stammgast, kommt aus Schwaben, sieht aus wie Ende 50 und soll ein gemeines Mundwerk haben. Hat er tatsächlich: Als Uli zum fünften Mal vom Tod des Bruders erzählt und das Schlampe von Schwägerin die Kehle durchgeschnitten gehört, beginnt Edmund laut zu singen: "Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung, dideldidideditdidit, und da sind dieselben Liiiiiieder...", knödelt er affektiert. Und dann lacht er bös. Uli muss erst mal eine Runde brechen. Er stürzt die Treppen zur Toilette hoch. Schafft es aber wohl nicht ganz bis zum Becken. "Schlecht gezielt ist auch daneben", kommentiert Edmund grinsend die Würg- und Aufklatschgeräusche.

Dieter zuckt nicht mal. Den kleinen roten Eimer greift er sich ebenso stoisch unter der Theke hervor wie den gräulichen Wischlappen. Dafür kläfft sich Rambo die Seele aus dem Leib. Rambo wohnt in der Bass Drum neben den alten Verstärkern am Treppenaufgang. Wahrscheinlich das Produkt einer Begegnung zwischen Chihuahua und Pekinesen. Jedenfalls ein zartes Tier und für einen Kneipenhund erstaunlich nervös.

Uli hat jetzt Platz im Bauch für weitere Weissbiere. Er und der Dieter reden über einen Mann namens Sepp. "Stirbt der da so mittendrin...". Der Sepp war ein bekannter Innenaustatter. Richtete Häuser "von derer Scheichs" ein, hatte ein feines Segelboot am Starnberger See, war wohl auch beim Film und überhaupt nicht arrogant. Auf Sepps Nachnamen kommen sie nicht. Das fuchst den Dieter. Er kramt in alten Adressbüchern. Blättert lange, bevor er irgendwann triumphierend "Stockinger" ruft. Ich frage nach, ob das zufällig der Stockinger sei, der bei Monaco Franze die Ausstattung gemacht habe. Bekomme einen Schnaps geschenkt und fette Pluspunkte. Etliche davon verliere ich nur wenige Minuten später. Beim Dieter bezweifelt man halt nicht, dass der größte Gitarrist aller Zeiten Carlos Santana heißt.

"Öch bin soooo bewegt" ruft der große Mann mit Stentorstimme gleich nach dem Türenaufreißen. Sieht aus, als käme er gerade aus dem Maxim. Ganz klar auf großen Auftritt gepolt. "Oi, oi, jetzt gibt`s gleich auf die Fresse, so wie der Uli heute drauf ist", flüstert mir Edmund zu, der eigentlich eher wie ein Westfale, keinesfalls jedoch nach Schwabe klingt, aber jung ist er ja schließlich auch nicht.

"Kinder, öch bin tief innerlich berührt ", ruft der Anfangsiebziger mit Breitrandhut und Joopie Heesters-Schal. Was ihn so bewegt will eigentlich niemand wissen. Erzählt er natürlich trotzdem. Nach 35 Jahren auf der Bühne und dem "Abschied vom Rampenlicht" habe er niemals wieder in die Oper gehen wollen. Aber heute, ja heute hätten ihn Freunde überredet und "wieder im Gärtnerplatztheater zu sein und die Kollegen zu treffen, das war fast noch beweeegender als die Arien. Ach herrlich, Kinder. Ich sags Euch...".

Uli gähnt ostentativ. Edmund beugt sich gespannt vor. Auf die Fresse gibt es zwar nichts, aber dafür legt der Dieter irgendwas schrecklich Traniges auf. "Oh weh, der Filiciano Jose...", sag ich. Der Dieter zwinkert mir zu, stellt ein Helles hin und dreht die Lautstärke noch ein bisschen höher. Der Ex-Opernsänger verstummt beleidigt. "Trinken mer auf die Lizzie", meint der Dieter und zwinkert schon wieder. "Ach was, Kerzen sollt ma anzünden für die Lizzie," schreit Ulli. "Auf Elizabeth, die Frau die dem Dieter sein Schicksal war!"

Attila kommt aus Russland und schreit alle paar Minuten "Sieg Heil! Shalom Israel". Attila sucht Anschluss und fasst eine magere Mittvierzigerin ins Auge. Die wiegt ihren flachen, schmalen Oberkörper jetzt schon 10 Minuten lang zu deutschen Schlagern, in denen es ausschließlich um Betrogen/Verletzt/Verlassen-Werden geht. Sie singt lauthals mit, lächelt dabei vage befriedigt und stößt mit ihren Fingern immer wieder in so in die Luft, wie es John Travolta in Saturday Night Fever vorgemacht hat.
"Du hast mich tausend Mal belooooogen -- ja Leut, so is des. Gibst mir no a Prosecco, Dieter...", wechselt sie von gegröltem Nachleiden zur gesprochenen Kurzkommunikation, wobei sie in die Runde lächelt. Attila nimmt das Lächeln persönlich, drängelt sich mit ausladenden Armschlenkern am Tresen längs und drückt der Mageren einen schmatzenden Kuss mitten ins Gesicht. Dann wankt er schnell an sein Thekenende zurück. Der Kuss bleibt ohne Folgen. „Ich bin so hoch mit Dir geflogen, doch der Himmel war besetzt“, singt die Magere beseelt, Attila schreit „Sieg Heil!Shalom Israel“. Rambo kläfft zitternd.

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