Personal Jesus

Lewinson war ein inwändig und äußerlich schöner Mann. Immer noch. Irgendwie jedenfalls. Sicher, die letzten 30 Jahre hatten ihm einiges an Hautstraffheit und Hirnhärte geraubt, sein unverändertes Aguirre-Zorn-Gottes-Styling wirkte inzwischen ein wenig albern, auch weil seine Taillen-langen Locken mittlerweile schlohweiß waren. Aber wenn er mit der ihm eigenen Sorgfalt fast zärtlich über Zylinder, Kolben oder selbst konstruierte Auspufftöpfe strich und dabei über Wahrnehmungsverzerrung und die Pflicht zur Menschenliebe sprach, schmolzen wir in Sentimentalität.

Bierthaler, Max und ich nannten Lewinson gern unseren Zeit-Raum-Kontinuum-Umkehrer. Die Nachmittage mit ihm, die wir uns einmal pro Quartal gönnten, waren besserer Seelentrost als jedes noch so exklusive Spa oder Bordell -- brachte er uns doch direkt zurück in die Zeit, in der man mit seiner ersten Honda Four-in-One ebenso punkten konnte wie mit Zitaten berühmter Indianerführer, Brockdorf-Bauzaun-Erlebnissen und/oder der Marx-Engels Werke Gesamtausgabe im Regal.

Bierthaler war Rechtsanwalt. Erfolgreich, korrupt, verfettet, aber mit einer exquisiten Sammlung alter Motorräder. Bierthaler, der sich kurz vor dem Abitur die stramm linke Gesinnung auszog wie dreckige Socken und sich aus taktischen Gründen mit Pape anfreundete, um über dessen Vater in eine der besseren Studentenverbindungen zu kommen. Als Karriereticket war Nassovia Würzburg ...

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