Xiao Hu

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„Körperliche Makel kann man zwar abschaffen, aber bis die Selbstwahrnehmung auf Kurs kommt, das kann dauern“, sagt Xiao Hu und sie muss es wissen. Als sie damals als Stipendiatin in die Stadt kam, war sie stark kurzsichtig, plattnasig und von plumper Gestalt. Hinzu kam ein schiefer Unterkiefer, exzessiver Zahnfleischwuchs und eine deutliche Gehbehinderung.

Ihre sehr ungleich langen Beine und die platte Nase waren einem Erdrutsch geschuldet, in dem Xiao Hu als Kind einige Stunden verschüttet war, bevor man sie fand und zu einem dieser Barfuss-Ärzte brachte, der ihre zersplitterten Knochen vielleicht sogar hätte vernünftig versorgen können, wenn er denn Schienen und Fixatoren gehabt hätte.


Wer Xiao Hu heute sieht, käme nicht auf die Idee, dass sie als verkrüppeltes Kind wirklich armer Bauern an den Start gegangen ist. Die Herkunft aus dem Süden lässt sich allenfalls an ihrem naturbelassen dunkelbraunen Teint erkennen. Mit Ende 30 ist sie eine sehr elegante, gelassene Erscheinung; eine attraktive und durchaus wohlhabend wirkende Frau, deren leichtes Hinken nur der bemerkt, der sehr genau hinschaut. "Innendrin hab ich mich aber nicht sonderlich verändert", lacht sie, als wir uns zufällig bei einer Ausstellung treffen und ich sie erst an ihrer Stimme wiedererkenne. "Na ja, Glück war natürlich auch dabei", räumt Xiao Hu ein, "die ersten Operationen hat mir damals Dr. Zhang fast umsonst besorgt, weil er mochte, wie ich mit den Kindern im Heping umging."

Als Stipendiatin einer humanitären Gemeinschaft hatte sich Xiao Hu verpflichtet, zwischen Schule und Studium ein Jahr lang in einem Waisenheim zu arbeiten, das auf die Betreuung geistig und körperlich schwerstbehinderter Kinder spezialisiert war. Die meisten der kleinen Insassen waren von ihren Familien einfach ausgesetzt worden, regelmäßigen Besuch bekam wohl weniger als ein Drittel. Xiao Hu hatte nach Ableistung des Pflichtjahres neben ihrem Studium weiterhin 4x pro Woche ehrenamtlich im Heping-Heim gearbeitet. Ich hatte seinerzeit nur die Nerven für einen Einsatz pro Woche gehabt, und irgendwann bedrückten mich die mannigfach kranken und chancenlosen Kinder derart, dass ich einfach nicht mehr hingehen konnte.

Xiao Hu hatte ich für ihre Hingabe immer bewundert. Das sage ich ihr heute noch einmal, doch sie wehrt ab: „So altruistisch war das damals doch gar nicht. An der Uni und im Wohnheim hatte ich so gut wie keine Freunde. Hässlich, behindert und immer Kursbeste – das ist nun mal keine coole Kombination. Wer gibt sich schon gerne mit einem verkrüppelten Streber ab? Lerngemeinschaften, Ausgehen oder sonstiges Sozialleben fand also keins statt. Im Heping mochte und schätzte man mich, so wie ich war. Da gab es Anerkennung und vor allem die Liebe dieser Kinder. Wie hätte ich das damals aufgeben können...?“

Xiao Hus langsamer Einstieg in die Welt der Erfolgreicheren begann nach einem fast komplett in Krankenhäusern verbrachten Jahr. Der väterliche Dr. Zhang hatte sie zu seinem persönlichen Förderprojekt gemacht. Sorgte dafür, dass ihr in mehreren Operationen die Beine gerichtet wurden. Kümmerte sich auch um die Kiefer- und sonstigen Mundprobleme. Letzteres bescherte ihr zwar kein klassisches Blendax-Lächeln, aber immerhin eine deutliche Verhübschung der Gesichtszüge und somit eine merkliche Verringerung von Nachteilen. Im studentischen Leben ebenso wie bei der Suche nach halbwegs einträglichen Nebenjobs.

Als nächstes war der Aufbau des Nasenbereichs dran – eigenfinanziert durch Arbeit in der Disposition eines großen Farbenherstellers. Dieser Job und der Stress der Abschlussprüfungen ließen sie an die 15 Kilo verlieren. Einige Jahre später – inzwischen war Xiao Hu nach Zusatzausbildung als Wirtschaftsprüferin recht erfolgreich unterwegs – ließ sie sich dann noch die Augen lasern. „Ohne diese Glasbausteine auf der Nase war das Leben plötzlich einfach nicht wieder zu erkennen", kichert Xiao Hu und freut sich über ihren Scherz, "neue Sportarten, neue Bekannte und dann kam Xavier..."

„Klar klingt das alles irgendwie nach Dauerwerbesendung oder schlechter Soap“, meint Xiao Hu. Aber Hautbleichmittel kämen ihr ganz sicher ebensowenig ins Haus wie Botox.
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